“Europa gibt sein Bestes, wenn es in der Krise steckt“
Im Rahmen der Reihe „Positionen zu Europa“ organisierte das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Italien anlässlich des 60. Jubiläums der Unterzeichnung der Römischen Verträge europapolitische Veranstaltungen mit internationalen Partnern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Bei einer Podiumsdiskussion in diesem Rahmen wurde am 23. Mai 2017 über die Wahrnehmung Europas von Seiten Asiens und der Vereinigten Staaten diskutiert.
Frances G. Burwell, Vizepräsidentin des Atlantic Council in Washington D.C. hob dabei hervor, dass Europa von den USA als „soft power“ gesehen werde, das im Moment vor allem durch Uneinigkeit auffalle. „Die innere Zerstrittenheit der Europäischen Union schwächt die Position der Europäer bei den globalen Herausforderungen im Bereich Terrorbekämpfung, Flüchtlingsströme und Klimaschutz“, so die Politologin, deren Forschungsschwerpunkt auf der zentralen Rolle der atlantischen Gemeinschaft bei der Bewältigung der internationalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts liegt.
Wenn es um die Rolle Europas in der Welt geht, seien in den Vereinigten Staaten zur Zeit zwei Positionen in der Diskussion. So habe die Obama-Administration die Auffassung vertreten, die EU müsse sich in die Lage versetzen, den sie direkt betreffenden sicherheitspolitischen Konflikten zu begegnen, und zwar als Partner an der Seite der USA. In diesem Zusammenhang sei vor allem ein stärkeres Engagement der Europäer in der NATO notwendig. Die andere Denkrichtung sieht die Europäer in der Pflicht, sich selbst um ihre Probleme vor der Haustür zu kümmern, auch ohne die Schutzmacht der USA im Rücken. Beide Denkschulen sehen die Europäische Gemeinschaft jedoch in der Pflicht, eine effektive gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufzubauen, um sicherheitspolitisch handlungsfähig zu werden und mehr Verantwortung übernehmen zu können.
Yeo Lay Hwee, Direktorin des European Union Centre in Singapore betonte, dass es kein asiatisches Narrativ zu Europa gebe: zu unterschiedlich seien die Positionen, zu weit auseinander die Blickwinkel der Mittelmächte und Global Player in der Region. Man bewundere Europa für seinen kulturellen Reichtum, der aus dem Kontinent ein beliebtes Reiseziel mache, kritisiere aber auch, dass es nicht fortschrittsorientiert genug sei. „Europa ist im Niedergang, außen- und sicherheitspolitisch abhängig von den USA, und seit der Finanzkrise nun auch als Wirtschaftsmacht in der Krise“, fasst Yeo Lay Hwee den Blick von Asien auf den Kontinent Europa zusammen. Was die Europäische Union als politische Gebilde angeht, habe sich nach der Eurokrise eine tendenziell negative Sicht sowie Enttäuschung breit gemacht. „Sprachen vor der Krise noch fast zwei Drittel der Asiaten der EU einen positiven Einfluss auf die weltpolitischen Entwicklungen zu, sind es aktuell nicht einmal die Hälfte“, erläutert Yeo Lay Hwee. Die Europäer müssten eine von den USA unterscheidbare Position finden, die sie auch geschlossen vertreten könnten, meinte Yeo abschließend.
Mehr Verantwortung in der Sicherheitspolitik übernehmen und eine von den USA unabhängigere außenpolitische Linie fahren – so also die zentralen Forderungen aus den USA und Asien an die EU. „Es ist jedoch schwierig, die Erwartungen zu erfüllen, solange die Europäer zum einen durch interne Krisen geschwächt sind und zum anderen keine gemeinsame europäische Identität teilen, die sie im Ernstfall an einem Strang ziehen lassen.“ Darauf wies Silvia Francescon hin, die den European Council on Foreign Relations in Rom leitet. Die Wissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkt auf internationalen Beziehungen und global governance hob auch die Unterschiede zwischen den USA und der EU hervor. So gebe es verschiedene handelspolitische Ansätze oder unterschiedliche sozial- und gesundheitspolitische Maximen. „Auch die Klimaschutzpositionen trennen die Europäer ideell stark von den USA. Vor allem die Klimapolitik könnte die Gelegenheit für die Europäer sein, als Wegweiser und Vorbildrolle international stärker Verantwortung zu übernehmen.“, so Francescon weiter.
Am Ende waren sich alle Gesprächsteilnehmer darin einig, dass das Jahr 2017 für Europa ein Schicksalsjahr darstelle. Bleibe nur abzuwarten, ob und wie Europa seinen Erwartungen gerecht werde.
Anmerkung:
Dieser Bericht wurde auf Grundlage eines Interviews erstellt, das Studierende der Denkfabrik OGIE (Osservatorio Germania-Italia-Europa) mit den Referenten am Rande der offiziellen Veranstaltung realisiert hatten. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt OGIE, das sich mit den deutsch-italienischen Beziehungen im europäischen Kontext auseinandersetzt und in diesem Jahr Analysen und Standpunkte zu den großen Herausforderungen der Europäischen Union erarbeitet hat, wird von dem Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Italien und der Universität LUMSA gegründet.